Zu Spielbeginn führt fast jeder Klick zum Ziel. Doch je weiter Kinder und Jugendliche kommen, desto mehr Zeit und mitunter Geld müssen sie investieren. Nach diesem Muster sind viele beliebte digitale Spiele konzipiert, um die Nutzungszeit auszudehnen und einen möglichst hohen Gewinn zu erzielen. Risikomindernde Elemente sind die Ausnahme. So seien Elternmenüs oftmals so kompliziert gestaltet, dass sie nur wenig Unterstützung bieten. Das sind die zentralen Ergebnisse eines neuen Gutachtens zur exzessiven Nutzung von Games im Auftrag der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM). In den zehn untersuchten Spielen, von „League of Legends“ über „FIFA“ bis zu „Clash of Clans“, finden sich verschiedene „Dark Patterns“ (manipulative Spieldesigns). Mit diesen werden auch jüngere Kinder konfrontiert, da das Alter oft nicht wirksam geprüft wird.
Dr. Marc Jan Eumann, Vorsitzender der KJM: „Das Ergebnis ist – leider – eindeutig: Viele populäre Spiele nutzen die Unerfahrenheit von Kindern und Jugendlichen aus. Fair Play sieht anders aus. Schutz beginnt bei einer wirksamen technischen Alterskontrolle! Genauso braucht es Transparenz: Wie wahrscheinlich ist es, dass ich ein bestimmtes Item durch den Kauf einer Lootbox erhalte? Wie viel Geld habe ich für das Spiel bereits ausgegeben? Solche Informationen müssen auf den ersten Blick ersichtlich sein. Auch verbindliche Leitfäden für Spieleentwickler*innen zur Vermeidung von Dark Patterns sind hilfreich. Hier sind die Spiele-Anbieter*innen gefordert, für die richtigen Spielregeln zu sorgen. Nochmals: Fair Play muss auch bei Online Games eine Selbstverständlichkeit sein.“
Autor der Studie, Prof. Dr. Rudolf Kammerl: „Teils entsteht der Eindruck, dass Spieleanbieter*innen durch komplizierte Elternmenüs und -informationen erzieherische Spielebeschränkungen mutwillig nicht unterstützen. Das macht es für Eltern und Erziehende sehr mühsam. Hier braucht es für Eltern klar erkennbare Hinweise auf die Risiken für problematisches Gaming und seitens der Spielehersteller mehr Design-Mechanismen beziehungsweise Beschränkungen gegen exzessives Gaming.“
Push-Nachrichten und In-App Käufe
Zu den zehn untersuchten Spielen gehören u. a. auch „Minecraft“ und „Fortnite“, die neben „FIFA“ laut JIM-Studie 2023 zu den in der Altersgruppe der Zwölf- bis 19-Jährigen beliebtesten digitalen Spielen zählen. Folgende manipulative Designs, die eine exzessive Nutzung fördern, führt das Gutachten auf:
- Push-Nachrichten
- Belohnung für tägliches Spielen
- Belohnungen für das Ansehen von Werbung
- Bestrafung für Nicht-Spielen
- In-App-Käufe
- Permanente Bewerbung eines Shops
- Einsatz von Freundes- und Bestenlisten
- u. v. m.
Als besonders problematisch fielen in drei von zehn Spielen weitere glücksspielähnliche Elemente wie kostenpflichtige Lootboxen auf. Diese werden in Form von Tresoren, Schatztruhen oder ähnlichem angeboten, ohne dass bekannt ist, ob das gewünschte Item tatsächlich enthalten ist. Lootboxen können nach aktuellem Forschungsstand laut Prof. Dr. Rudolf Kammerl sowohl ein problematisches Gaming wie auch ein problematisches Glücksspielverhalten bei Kindern und Jugendlichen fördern.
Transparente Spielzeitangaben und Gewinnmöglichkeiten
Risikomindernd könnten sich Elemente wie zuverlässige technische Alterskontrollen, transparente Spielzeitangaben oder Angaben über die finanziellen Ausgaben sowie Gewinnmöglichkeiten bei Lootboxen auswirken. Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass sämtliche Spiele mindestens kleinere Ansätze zur Risikominderung einsetzen. Diese sind nach Ansicht der Forschenden jedoch oft schwer auffindbar. Positiv zu erwähnen ist, dass Altersbeschränkungen eingerichtet sind, wenn Kinder ihr richtiges Alter angeben. Meistens lassen sich die Altersbeschränkungen aber mit einer höheren Altersangabe übergehen.
Ursprünglich verdienten Games-Anbieter*innen über DVD- oder CD-Verkäufe. Heute findet der Verkauf vor allem digital statt. Die Anbieter*innen populärer Games erzielen Erlöse vor allem dann, wenn Nutzer*innen viel Zeit im Spiel verbringen und Geld in In-Game-Shops ausgeben. Das führt dazu, dass aktuelle Online-Games vermehrt manipulative Spielmechaniken einsetzen, um Kinder und Jugendliche vor die Bildschirme zu locken. Dies funktioniert vor allem deshalb so gut, weil Kinder und Jugendliche aufgrund ihres Entwicklungsstandes nur über eine begrenzte Impulskontrolle verfügen.
Diese Entwicklungen werden auch bei der Alterseinstufung von Spielen berücksichtigt. So hat die zuständige Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) neue Prüfregeln, die seit Januar 2023 angewendet werden. Demnach werden Nutzungsrisiken in Form von Dark Patterns sowie Vorsorgemaßnahmen im Rahmen der USK-Spieleprüfungen berücksichtigt und führen so gegebenenfalls zu einer höheren Alterseinstufung – wie beim Spiel „EA Sports FC“ (Nachfolger von „FIFA“), welches mittlerweile eine Altersfreigabe von „ab 12 Jahren“ erhalten hat. Zudem werden Zusatzhinweise (so genannte Deskriptoren) vergeben, die Transparenz und Orientierung erhöhen sollen.
Dr. Marc Jan Eumann hierzu: „Es ist gut, dass sich die USK dessen annimmt. Das Gutachten zeigt, wie viel zu tun ist. Die vorgenommenen Änderungen müssen sich nun in der Praxis beweisen. Allerdings bleibt die grundsätzlich fehlende technische Alterskontrolle eine Schwachstelle.“
2023 nutzten laut JIM-Studie 72 % der Jugendlichen täglich oder mehrmals die Woche digitale Spiele. Im Durchschnitt betrug die Spielzeit 1,5 Stunden pro Tag. Jungen spielen im Schnitt 119 Minuten täglich und damit fast doppelt so lange wie Mädchen mit 61 Minuten. Lediglich acht Prozent der Zwölf- bis 19-Jährigen geben an, niemals digitale Spiele zu spielen.
Disclaimer: Da es sich bei Online-Games um dynamische Inhalte handelt, die einer konstanten Veränderung unterworfen sein können, weisen wir darauf hin, dass das Gutachten den Stand während des Untersuchungszeitraums wiedergibt.